Und im Wienerwald stehen noch immer die Bäume: Ein jüdisches Familienschicksal

Gebundene Ausgabe: 320 Seiten
Verlag: Arche; Auflage: 1 (Februar 2014)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3716027103
ISBN-13: 978-3716027103
Originaltitel: Och i Wienerwald star träden kvar

Kurzbeschreibung auf amazon.de:
Der erschütternde Dokumentarroman über das Schicksal einer jüdischen Familie aus Wien und eine ungewöhnliche Freundschaft in Schweden während der Nazi-Zeit. Otto Ullmann aus Wien, der 1939 mit 13 Jahren als eines von 100 jüdischen Kindern nach Schweden einreist; Ingvar Kamprad, der Sohn eines schwedischen Großgrundbesitzers, der sich früh den Nationalsozialisten anschließt und 1943, mit 17 Jahren, die Möbelfirma IKEA gründet. Über ein Jahrzehnt hinweg sind die beiden befreundet, und Otto, der seine Familie in Auschwitz verlor, ist nach dem Krieg einer der ersten Mitarbeiter des späteren Weltkonzerns. Was verband diese beiden so unterschiedlichen Menschen? Elisabeth Åsbrink erzählt aber noch mehr: Anhand von 500 im Nachlass von Otto Ullmann gefundenen Briefen, die seine Eltern ihm zwischen 1939 und 1944 fast täglich schrieben, entfaltet sie das Schicksal dieser jüdischen Familie und offenbart ein »Epizentrum des Kummers«. Eine weitere, einzigartige Geschichte aus dunkler Zeit, die dem Vergessen entgegenwirkt.

Zur Autorin:
Elisabeth Åsbrink, geboren 1965, lebt als Schriftstellerin, Journalistin, Fernsehproduzentin und Autorin in Stockholm. Sie arbeitet außerdem für Schwedens populärstes Radioprogramm Sommar in P1, wo sie u. a. Sendungen für das frühere ABBA-Mitglied Björn Ulvaeus produziert hat. ›Und im Wienerwald stehen noch immer die Bäume‹ ist ihr drittes Buch, für das sie 2011 mit dem August-Preis für das beste Sachbuch des Jahres ausgezeichnet wurde. www.elisabethasbrink.se
(Quelle: dtv.de)

Meine Meinung:
Otto lebt mit seinen Eltern Josef und Elise in Wien. Sie spielen Tennis, sind regelmäßige Gäste in der Oper, aber auch bei Fußballspielen. Der Vater ist angesehener Journalist, die Familie ist zufrieden und glücklich, sie haben viele Freunde und enge Beziehungen zu ihren Verwandten. Doch dann schleicht sich der pure Horror in diese Idylle und dieser hat einen Namen: Antisemitismus.
Elisabeth Åsbrink schildert die Anfänge der Verfolgung und wie sich die Lage für die kleine Familie immer mehr zuspitzt. Schließlich ergreifen die Ullmanns die einmalige Chance, wenigstens ihren 13-jährigen Sohn Otto in Sicherheit zu bringen. Er ist eines von 100 auserwählten Kindern, die nach Schweden einreisen dürfen. Der Abschied fällt natürlich nicht leicht.

„Die offene Tür des Eisenbahnwaggons lockte dunkel mit Rettung, doch sobald Otto hinaufgestiegen war, spürte er den Verlust im Rücken. Von der Sonne in den Schatten.“ (Zitat Seite 91)

Der zuweilen etwas poetisch anmutende Schreibstil drückt vieles durch Bilder und gewollte Wiederholungen aus. Elisabeth Åsbrink hat es geschafft, mich ganz in diese bedrückende Atmosphäre zu entführen, die Verzweiflung und Not der Familie wird greifbar.
Dazu tragen vor allem auch die vielen überlieferten Briefe bei, die Ottos Eltern nach Schweden geschrieben haben. Zahlreich werden diese im Buch verwendet und lassen die Familie Ullmann für einen Moment wieder lebendig werden. Man fühlt mit ihnen, leidet mit ihnen, freut sich mit ihnen über die Fortschritte, die Otto in der Ferne macht.
Ottos Antwortbriefe sind zwar nicht mehr erhalten, aber seine Sicht der Dinge ergänzt natürlich die Seiten. Genau wie viele Informationen über die politische Lage der Zeit, die mir teilweise noch vollkommen neu war und deshalb sehr interessant.

„Die Briefe, die Tag für Tag eintrafen, waren sowohl Rettungsleine als auch Stacheldraht, Wiedersehen und Abschied, zuerst machten sie ihn froh, dann hatte er genug von ihnen, es war einfach kein Platz für alles.“ (Zitat Seite 183)

Otto muss sich einleben in einer vollkommen neuen Umgebung, was ihm nicht immer leicht fällt. Zunächst lehnt er sich noch etwas auf, doch bald fügt er sich in sein Schicksal und all das spiegelt sich in den Briefen wider.
Die Eltern sind derweil in Wien ihres ganzen normalen Lebens beraubt und fast alles, was ihnen noch bleibt, ist der Briefkontakt mit ihrem Sohn und die Hoffnung, dass die Entscheidung richtig war und ihn ein besseres Leben erwartet.
Die Briefe haben mich sehr berührt und teilweise sogar zu Tränen gerührt. Obwohl sie keinerlei Mitteilungen darüber enthalten, was sich wirklich in Wien zugetragen hat und wie schlimm das Leben der Familie war, kann man doch zwischen den Zeilen deutlich die Verzweiflung herauslesen. Die Formulierungen ändern sich im Laufe der Zeit, doch was bleibt, ist immer ein Schimmer von Hoffnung. Sogar noch in dem Brief, den Ottos Vater am 26.09.1942 abgeschickt hat und in dem er schrieb:
„Wir müssen nämlich in ein paar Tagen übersiedeln. Wenn Du ohne unsere Nachrichten bleibst, dann nimm es Dir nicht zu sehr zu Herzen. … Lieber Junge, wir sind nicht traurig, und Du sollst es auch nicht sein.“ (Zitat Seite 334)
Und doch machen diese Worte sogar mich traurig, nach so vielen Jahrzehnten, vor denen sie geschrieben wurden.

Das Buch lässt die Schrecken dieser Zeit anhand des konkreten wahren Beispiels einer zerrissenen Familie wieder aufleben. Die Briefe zeugen von der Verzweiflung und der Hoffnung und sind sehr aufrührend. Die übrigen Informationen zur politischen Lage, die vor allem die Rolle Schwedens in diesem Kriegsdrama in den Vordergrund stellen, waren erschütternd und informativ.
Nicht zuletzt führt uns Elisabeth Åsbrink auch in einer langen Aufzählung vor Augen, dass Antisemitismus keineswegs eine neue Erfindung ist, sondern vielmehr eine lange erschreckende „Tradition“ hat, die bereits in den Anfängen unserer Zeitrechnung ihren Ursprung hat. Was lernen wir daraus? Dass Geschichte sich wiederholt und dass Verfolgung und Ausgrenzung von Minderheiten oder Andersartigen auch heutzutage noch an der Tagesordnung ist. Vielleicht nicht so offensichtlich in Europa, aber anderswo weltweit.

Die Furcht vor dem Fremden und die Angst um die eigene Zukunft ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit selbst – und wird auch erst mit ihr zusammen aussterben.

Fazit:
Ein sehr berührendes, aufwühlendes Buch über ein Familienschicksal, das stellvertretend für so viele Leidende, Verfolgte und Getötete steht. Interessant ist auch die Verbindung zum inzwischen weltbekannten IKEA-Gründer, die vor allem am Ende des Buches beleuchtet wird.

Dem Buch gebe ich 4 von 5 Sterne, da ich mir noch etwas mehr Informationen über den Verbleib mancher Personen gewünscht hätte und zum weiteren Leben von Otto.

Bei Daggis Buch-Challenge 2014 streiche ich für dieses Buch Punkt 30 von meiner Liste!