ICH BIN VOLLER HASS – UND DAS LIEBE ICH von Joachim Gaertner – Meine Rezension …

Verlag: Goldmann Verlag, 2010
ISBN 10: 3442473888
ISBN 13: 9783442473885
Über den Autor (Zitat aus dem Buch): Joachim Gaertner wurde 1957 in München geboren. Er studierte Literaturwissenschaft, Linguistik, Indologie, Theologie und Kunstgeschichte in München und wurde danach Fernseh- und Hörspielautor. Er machte Filme für ARD, ARTE und 3sat, u. a. über Straßengangs in Los Angeles, die CIA, die Todesstrafe in den USA, Ernest Hemingway, Pier Paolo Pasolini und Ryszard Kapuscinski.

Viele von euch werden sich an den schrecklichen Amoklauf an der Columbine Highschool in Littleton am 20.04.1999 noch erinnern können. Die traurige Bilanz: 13 Tote, 24 Verletzte und ein anschließender Selbstmord der beiden Täter Dylan Klebold (17) und Eric Harris (18).
Dieses Buch ist ein dokumentarischer Roman, der ausschließlich aus Original-Dokumenten besteht, die die Polizei dem Autor überlassen hat. Vor Herausgabe dieser Akten wurden die Eltern der Opfer darum gebeten, darüber abzustimmen, ob sie diese Veröffentlichung befürworten. Die Mehrheit sprach sich dafür aus, da sie der Meinung waren, es könnte anderen Eltern, Lehrern etc. vielleicht helfen, ähnliche Verhaltensweisen bei ihren Kindern, Schülern oder Freunden frühzeitig zu erkennen. Sie hatten die Hoffnung, andere Attentate dieser Art damit verhindern zu können.

Wie wir inzwischen wissen, ist dies nicht ganz gelungen: es gab seither zahlreiche Amokläufe an weiteren Schulen, 2009 sogar in meiner Heimatstadt (allerdings glücklicherweise ohne Todesopfer). Viele der späteren Täter bezogen sich explizit auf Klebold und Harris, nannten sie als Vorbilder oder wollten sie noch übertrumpfen.
Was viele vielleicht nicht wissen: damals hatten alle Beteiligten noch sehr viel Glück im Unglück, denn zwei Propangasbomben mit Zeitzünder sind nicht wie geplant explodiert. Hätten die Täter hier keinen Fehler gemacht, wäre die Opferzahl in der Columbine Highschool wohl in einen dreistelligen Bereich gestiegen.

Der Autor veröffentlicht in diesem Buch natürlich nicht alle Dokumente, sondern er verwendet verschiedene Ausschnitte und kombiniert spätere Zeugenaussagen mit Auszügen aus Notizbüchern, Kalendereinträgen, Schulaufsätzen, Projektarbeiten, Briefen, Chatprotokollen, Videomitschnitten, Websiteinhalten und vielem mehr. So entsteht ein lebendiges Bild der beiden späteren Amokläufer Eric und Dylan.
Manche denken vielleicht, die beiden Jugendlichen stammten aus unterprivilegierten Familien, wären etwas dumm gewesen und hätten sich von stupiden Ballerspielen oder anderen Dingen inspirieren lassen. Doch die Wahrheit sieht ganz anders aus: Eric und Dylan waren sehr intelligent, konnten sich sprachlich überaus gut ausdrücken und sie quälten in ihrer Freizeit auch keine Tiere. Im Gegenteil: sie liebten Tiere und die Natur und betrachteten viel mehr die Menschen als Plage auf diesem Planeten, vor allem die Dummen und Fremdbestimmten – wie sie oft in ihren Aufzeichnungen schrieben.
Es war auch mitnichten so, dass sie sich den Folgen ihrer Tat nicht bewusst gewesen wären: sie haben sich im Vorfeld per Videobotschaft sogar dafür entschuldigt, vor allem bei ihren Eltern. Eric und Dylan waren keine gefühllosen Soziopathen, sondern in vielen Dingen ganz normale Teenager mit entsprechenden Problemen. Sie planten ihre Tat viele Monate vorher, haben sogar manchmal darauf hingewiesen, aber niemand konnte die Zeichen im Vorfeld deuten.

Mir wurde beim Lesen dieses eindrucksvollen Buches bewusst, dass wir ähnliche Taten wohl niemals wirklich verhindern werden können. Menschen sind so unterschiedlich, manche können ihre Gefühle nach außen hin perfekt verbergen. Und wir werden niemals Mobbing oder Ausgrenzung abschaffen können, nicht einmal zu echter Gleichberechtigung werden wir Menschen es jemals bringen. Das ist traurig, aber es scheint nicht grundsätzlich in der Natur der Menschen zu liegen. Und so wird es auch immer wieder Leute geben, bei denen eines Tages die Toleranzgrenze überschritten wird. Die dann nicht in Depressionen verfallen oder sich selbst etwas antun, sondern die ihren Hass auf diejenigen richten, die ihrer Meinung nach daran Schuld haben.

Fazit:
Ein sehr eindrückliches Buch, das gleichermaßen interessant und bewegend ist. Man erlebt das Auf und Ab der Gefühle von Dylan und Eric, wie es für Teenager eigentlich normal ist, allerdings gepaart mit deutlichen Tendenzen in eine gefährliche, tödliche Richtung. Der Autor bewertet und kommentiert nicht, er äußert sich erst in einem Nachwort und schildert uns seine eigenen Eindrücke, die meinen nicht unähnlich waren.

Bewertung:
5pfoten

Bei Daggis Buch-Challenge hake ich hiermit Punkt 15 ab.